Für härteres Durchgreifen beim Massentourismus, mehr Wohnraum für Familien und für pragmatische, eigenständige Wege in der Bildung – in vielem belegen die Kandidierenden für das Amt des Landammanns ähnliche Positionen. Auch die politischen Selbst-Einordnungen liegen letztlich dicht aneinander, die «linkeste» Position liegt exakt in der Mitte.
Töni Kölbener und Ruedi Angehrn befragten an der Landsgemeindeversammlung der GFI am Montagabend zunächst die Kandidaten für das Amt des Landammanns: Angela Koller, Marco Knechtle, Pius Federer und Daniel Brülisauer (zur Vorstellung der Kandidaten vgl. insbesondere die Ausgabe vom Samstag). Wo stehen sie politisch auf einer Skala von 1 (links) bis 100 (rechts)? Angela Koller antwortet als erste: Sie sei klar eine 50 – manchmal eher rechts, in sozialen Fragen eher links. Knechtle nennt die Zahl 64,8 – bei den letzten Eidgenössischen Wahlen sei dieser Wert herausgekommen, als er smartvote.ch benutzt habe. Federer schlug ein paar Zehntel dazu auf 65. Brülisauer sagt, bei Wirtschaftsthemen liege er eher rechts, in Bildungsthemen eher links.
Und worin sehen sie ihren Vorteil gegenüber der Konkurrenz? Es fehle ein Jurist oder eine Juristin in der Standeskommission, macht Koller geltend, in der Regierungsarbeit gehe es nicht zuletzt um die Vorbereitung von Gesetzen. Zudem würde sie die Standeskommission verjüngen. Sein «Marsch» durch das Bildungssystem mache ihn zu einem idealen Erziehungsdirektor, sagt Knechtle und unterstrich seine Führungs-erfahrung. Federer setzt neben der Erfahrung im Bildungsbereich auf die Kombination auf Führungs- und Lebenserfahrung, der Landammann müsse eine Art Landesvater sein. Mit 54 habe er die längste politische Erfahrung. Für Daniel Brülisauer ist es die Exekutiverfahrung, die ihn von den anderen abhebe.
Zusammenarbeit Gymi-Kanti?
Mit einer Umbenennung des Erziehungsdepartements in «Bildungsdepartement» kann Knechtle nichts anfangen, der Name spiele keine Rolle, die Themen täten es – darum gehe es. Bildungsthemen spielten in den Fragen an die potenziellen künftigen Vorstehenden des Erziehungsdeparte-ments eine grosse Rolle: Wie also stünde es um eine engere Zusammenarbeit des Gymnasiums mit der Kanti Trogen, um Kosten zusammenzu-legen? Es bestehe bereits eine Zusammenarbeit, weiss Angela Koller – ob diese ausbaufähig sei, müsste ausgelotet werden. Selbstständigkeit sei wichtig, ebenso aber die Kooperation mit Nachbarkantonen.
Am integrativen Schulsystem komme man wohl nicht vorbei, meint Federer, man habe das System in Oberegg auch an der Oberstufe eingeführt. Die Frage stelle sich aber, ob die Schulgemeinden das System stemmen können. Die Gesetzesrevision sei ein Versuch, man müsse abwarten und Schulen und Eltern den Puls fühlen. Als kleiner Kanton könne man in der Eidgenössischen Erziehungsdirektorenkonferenz sehr wohl Akzente setzen, meint Knechtle: Der Zyklus 1 sei durch eine Mischung aus integrativ und separativ auf Innerrhoden zugeschnitten, die anderen Kantonen als Vorbild dienen könnte.
«Steuererhöhungen nicht tabu»
Steuererhöhungen sind für Brülisauer nicht das letzte Mittel, um das strukturelle Defizit in den Griff zu bekommen. Zuerst würden aber wohl die umliegenden Kantone die Sätze erhöhen müssen. Implizit mit den Steuern zu tun hatte die an Federer gerichtete Frage, ob die «immer zahl-reicher zuziehenden Rentner» für den Kanton Fluch oder Segen seien. Es sei grundsätzlich positiv, wenn der Kanton einen Zuwachs verzeichne. Man dürfe nicht vergessen, dass zehn Prozent der Steuerzahler 50 Prozent aller Steuern berappen würden – man müsse den Rentnern gut schauen. Aber auch für die Jungen müsse man Geld in die Hand nehmen.
Kalte Betten?
Die GFI-Verantwortlichen sprechen die Kandidierenden auf eine «wachsende Zahl an Zweitwohnungen mit wochenlang geschlossenen Roll-läden» an. Brülisauer würde sich dafür einsetzen, dass vermehrt Familien in Innerrhoden leben können. Obschon unpopulär, könnten dazu die Steuern erhöht werden, um die Bodenpreise zu senken. Angela Koller gibt zu bedenken, dass die Schaffung von Wohnraum für Familien nicht nur Sache des Kantons sei: Im Bezirk Rüte habe man die Gesetzesgrundlagen für eine aktive Bodenpolitik geschaffen.
Zum Thema, ob der Tourismus zur Last werde, meinte Brülisauer, der Tourismus sei eine wirtschaftliche Grundlage des Kantons, man müsse aber den Massentourismus bändigen.
Tourismus: «Erste Camper im März»
Aus dem Publikum kam die Frage, wie man Freunden die Blechlawinen im Tal erklären soll, wenn man mit ihnen einen Ausflug in die Berge mache. Man habe schon viele Konzepte entwickelt, antwortet Koller, es sei nicht klar, warum man davon wenig spüre. Es müsse ein Gesamtanliegen der Standeskommission sein, besser umzugehen mit dem Tourismus, so wichtig er sei. Es sei auch eine Frage des Umweltschutzes. Die ersten Camper würden bereits im März anrollen, die Saison ziehe sich unterdessen bis November hin. Und mit den Teilzeitpensen sei der Freitag der neue Samstag geworden. Man müsse nicht so weit kommen wie in anderen Kantonen, wo die Bevölkerung demonstriere. Appenzell müsse Appenzell bleiben, sagt auch Knechtle, man müsse den Qualitätstourismus stärken, wo die Leute zwei, drei Tage verweilen, während denen sie auch andere Angebote nutzen, nicht nur den Alpstein. Und Federer: Man sei Opfer des eigenen Erfolgs, Corona habe die Flucht in die Natur verstärkt. Die Quantität müsse gebremst werden, man hätte beim wilden Campieren schneller und schärfer reagieren müssen. Man lebe vom Tourismus, aber man müsse anders damit umgehen. Brülisauer spricht sich gegen ein Parkhaus in Wasserauen aus, das Angebot müsse nicht ausgebaut, sondern eingeschränkt werden. Auch unpopuläre Entscheide müssten gefällt werden.
Hearing der Bauherren-Anwärter: entspannt, fair, kollegial
Auch bei den Bauherren-Kandidaten ging es am GFI-Hearing zuerst um den politischen Kompass: Wo stehen Sie von 1 (ganz links) bis 100 (ganz rechts)? Patrik Koster ordnet sich beim Wert 60 ein, Hans Dörig näher bei 50.
«Gesamte Erfahrung mit BUD-Themen»
Zu seinen Vorteilen zählt Koster, dass er seine gesamte Exekutiverfahrung rund um die Themen des Bau- und Umweltdeparte-ment BUD gesammelt habe. Dörig sieht sich darin überlegen, neben den Erfahrung im Bauprojektmanagement viel Know-how in Nachhaltigkeits- und Energiefragen mitzubringen.
«Schnittstellen zur Bauverwaltung»
Als BUD-Schwerpunkte definiert Koster eine weitere Beschleunigung der Baubewilligungsverfahren – der Bürger soll keinen Unter-schied spüren, ob sein Gesuch beim BUD oder bei der Bauverwaltung liegt. Dörig möchte zuerst analysieren, wo der Schuh im Tagesgeschäft drücke. Ein gutes Klima sei ihm wichtig, die Erwartungshaltung müsse klar kommuniziert sein. Koster, weist darauf hin, dass im BUD viele Experten tätig seien, diese könne man nicht führen wie eine Rekrutenschule, man müsse ihnen einen Frei-raum geben. Dörig betont die Bedeutung der Schnittstellen zwischen den Ämtern, diese müssten auch gegenüber den Bauwilligen genau definiert sein.
Zu den Windkraftanlagen in Oberegg äussern beide Verständnis für die Wartezeiten, um die 19 Einsprachen abzuarbeiten: Das Projekt müsse nahezu unanfechtbar sein, gibt Koster zu bedenken. Ähnlich Dörig: Die Abarbeitung der Einspra-chen sei notwendig, sonst werde der Instanzenzug vor den Gerichten danach nur länger. Beide Bauherren sind überzeugt von der Energiewende. Das Ziel von Netto Null Treibhausgasemissionen bis 2050 sei gesetzt, sagt Dörig. Die Realisierung von Photovol-taikanlagen sei eine Priorität, da viele Bürger dabei selbst schnell sehen, dass es sich lohnt. Im Winter brauche man Alternativen, eine Ergänzung seien Windkraftanlagen. Das A und O seien Betriebsoptimierungen bestehender Anlagen, man könne so 30 bis 60 Prozent mehr Energie schöpfen.
«Privileg: Bauen ausserhalb Bauzone»
Beim Bau ausserhalb der Bauzonen entscheidet der Kanton, er muss aber das Raumplanungsgesetz (RPG) des Bundes berück-sichtigen. Das eidgenössische Parlament hat 2023 die zweite Teilrevision (RPG 2) beschlossen. Soll das Bauen ausserhalb der Bau-zone gelockert werden oder sind gar strengere Massnahmen notwendig? Die RPG-Revision wolle nicht die Bedingungen für das Bauen ausserhalb der Bauzonen per se lockern, sondern allenfalls in der Landwirtschaftszone, sagt Dörig. Koster findet, das Wohnen ausserhalb der Bauzonen für Nicht-Landwirte sei eines der grössten Privilegien, die Innerrhoden biete. Das heutige Aus-mass sei übertrieben.
Mitspracherecht beim Richtplan?
Koster ist nicht generell gegen Zweitwohnungen, aber er glaube nicht, dass Landwirtschaftszonen dazu da seien, um den Wohn-raum zu vergrössern. Es sei eine grosse Herausforderung, um Wohnraum für Familien zur Verfügung zu stellen, sagt auch Dörig, man müsse bestehende Bauzonen nach innen verdichten, von Fall zu Fall aber auch Ausdehnungen zulassen. Mehr Mitsprache-rechte der Bevölkerung beim Richtplan sehen beide Kandidaten aus Verfahrensgründen schwierig. Koster würde es aber bejahen, wenn der Grosse Rat ein Antragsrecht hätte wie in anderen Kantonen.
Verwaltungsgebäude wohin?
Der Standort des geplanten Verwaltungsgebäudes im Zentrum passt beiden Kandidaten. Die Landsgemeinde habe dieses Projekt entschieden, resümiert Dörig, das Gebäude gehöre ins Dorf. Es störe ihn mehr, dass verschiedene Behörden darüber streiten, er-gänzt Koster.
Appenzeller Volksfreund, Tommaso Manzin